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„Subjektiv? Bin ich schon längst.“
In einer meiner ersten Verhandlungen als Verteidiger hatte ich mir vor ein paar Jahren erlaubt, die Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft auf ihre sehr einseitige Sicht der Dinge hinzuweisen.
Ich war frisch zugelassen, hatte ca. ein halbes Jahr vorher meinen letzten Tag der Ausbildungsstation bei der Staatsanwaltschaft gehabt. Von dort hatte ich mitgenommen, dass Ergebnisoffenheit und Objektivität durchaus nicht nur Schlagworte waren, sondern zum Selbstverständnis der Ermittlungsbehörde gehören sollen und können. Wenn ich als Referendar damals in der Sitzung einen Freispruch beantragte, war dies zwar teilweise in Nachhinein zu erklären, wurde aber nie kritisiert.
Dementsprechend negativ stieß mir in der besagten Sitzung auf, dass die Sitzungsvertreterin (wohlgemerkt Staatsanwältin, keine Referendarin) einseitig alle Argumente abbügelte, die ich für meinen angeklagten Mandanten anbrachte.
Hierauf von mir angesprochen bekam ich folgende Antwort:
„Ich bin nur für die Ermittlung der belastenden Tatsachen zuständig. Der Verteidiger kümmert sich um das Entlastende.“ Das war ernst gemeint. Der Richter sah sich zu einer kleinen Nachhilfe genötigt.
Es war das einzige Mal, dass ich diese grundlegend falsche Berufsauffassung von einem Staatsanwalt explizit hörte. Die Äußerung fällt mir dennoch sehr schnell wieder in Situationen ein, in denen man als Verteidiger einem Anklagevertreter gegenüber sitzt, der sich berufsrechtlich zur Subjektivität verpflichtet zu fühlen scheint.
Hier wird nicht gerannt!
Der Mandant war nachts über eine kleine Mauer gesprungen, gestürzt und hatte dabei eine kleine, auf dem Boden liegende Holzabdeckung beschädigt, die er nicht gesehen hatte. Die Staatsanwaltschaft warf ihm nun Sachbeschädigung an der Holzabdeckung vor. Ein eindeutiger Fall eines Freispruchs – so dachte ich jedenfalls. Fahrlässige Sachbeschädigung ist schließlich nicht strafbar. Und wie könnte man einem fallenden Menschen unterstellen, er sei absichtlich in einen Gegenstand gestolpert, den er gar nicht gesehen hatte? Ich halte das für lebensfremd und konstruiert. Anders sieht es die Staatsanwältin: Wer nachts im Dunklen renne und über eine Mauer springe, nehme selbstverständlich billigend in Kauf, dabei alles zu beschädigen, was ihm im Weg steht, ob er es nun sieht oder nicht.
Weil ich anderer Meinung bin, darf ich mir die Unterstellung anhören, ich bearbeite wohl vorrangig Zivilrechtsfälle. Ich bleibe höflich, verweise verneinend auf meinen Fachanwaltstitel und bekomme zu hören, dass ich mich dann offenbar nur profilieren wolle.
Nein. Will ich nicht. Ich will meinen Mandanten nur vor falschen Entscheidungen bewahren. Den ausfallenden Ton mancher Verfahrensbeteiligter werde ich mir dennoch nicht zueigen machen.