Strafprozess: Lohnt sich der Aufwand?

Wenn es nach dem ermittelnden Polizeibeamten gegangen wäre, würde die Antwort „nein“ lauten.
Der Mandantin drohte eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr. Der als Zeuge geladene Polizist prognostizierte vor dem Termin, die Sache sei doch klar; im Ergebnis würde das Urteil ohnehin „nur“ auf ein Jahr mit Bewährung lauten. Bei so einer klaren Sachlage sei es ja ganz schön viel Aufwand, Zeugen zu laden, Wartezeit für die Vernehmung in Kauf zu nehmen und überhaupt zu verhandeln. Wozu also noch groß den Prozess durchziehen, wenn das Ergebnis doch sowieso schon klar sei?
Meine Äußerung, dass ich von seiner Prognose keineswegs überzeugt bin, erstaunte ihn sichtlich.

Gericht, Staatsanwältin und ich haben dann den Aufwand im hochsommerlich warmen Gerichtssaal in entspannter aber dennoch konzentrierter Atmosphäre nicht gescheut. Ergebnis: Der Tatvorwurf aus der Anklage ließ sich nicht halten. Aus der vom Polizisten vorausgesagten Bewährungsstrafe wurde eine Einstellung nach §153a StPO mit moderater Arbeitsauflage.

Es lohnt sich also doch.

3 comments so far

  1. Chawa on

    Ja er lohnt sich doch. Denn wenn nichts mehr gemacht wird, weil es zu viel Aufwand ist, dann denken Kleinkriminelle doch, „Ach was soll’s, ich werde ja eh nicht verurteilt“
    In anderen Ländern wird schon gelacht über die deutsche Justiz. Das ist wirklich traurig!

  2. Martin Overath on

    „Haltloser Tatvorwurf“ führt doch zum Freispruch? Hat Ihre Mandantin trotzdem eine geringe Schuld eingestanden?

    • rastoeckel on

      Wenn vom Tatvorwurf auch nach Überzeugung des Gerichts gar nichts mehr übrig bleibt, führt das zum Freispruch. Manchmal zeigt aber die Hauptverhandlung, dass die Anklage zwar in der ursprünglichen Form den Sachverhalt nicht zutreffend beschrieben hat, es aber grundsätzlich für eine Verurteilung wegen eines mit geringer Strafe bedrohten Delikts reichen würde.


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